Der Verkehrssektor ist für etwa ein Fünftel der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die deutsche Pkw-Flotte ist die größte in Europa. Um daran etwas zu ändern, braucht es eine Verkehrswende. Wie genau muss die aber aussehen? Und was ist der Beitrag von CarSharing dazu?
Zu diesem Thema haben wir mit Norbert Jagemann gesprochen. Er ist Geschäftsführer der cambio-Gruppe und erklärt, wie CarSharing zu mehr Nachhaltigkeit im Verkehr beiträgt.
cambio betont immer, mehr Platz in den Städten schaffen zu wollen. Kann CarSharing das wirklich leisten?
Norbert Jagemann: Ja. Stationsbasiertes CarSharing schafft nachweislich mehr Platz in den Städten. Ein privater Pkw steht jeden Tag ganze 23 Stunden nur herum – das sind 95 Prozent des Tages. Das ist ineffizient, verbraucht viel Platz und kostet ordentlich Geld. CarSharing-Fahrzeuge werden dagegen extrem effizient und von vielen Menschen gemeinsam genutzt. Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass ein Auto von cambio in Deutschland durchschnittlich elf private Fahrzeuge ersetzt. Das liegt daran, dass viele unserer Kund*innen durch die Nutzung unseres Angebots auf ein eigenes Auto verzichten oder es gar nicht erst anschaffen. Zusätzlich nutzen CarSharing-Kund*innen häufiger nachhaltige Mobilitätsoptionen wie Bus, Bahn und Fahrrad oder gehen zu Fuß.
CarSharing trägt also doppelt zu einer nachhaltigeren Mobilität bei: einerseits sorgen CarSharing-Angebote dafür, dass mehr Menschen keinen eigenen Pkw besitzen. So wird der sogenannte „ruhende Verkehr“ entlastet, weil weniger Autos in den Straßen parken. Andererseits sorgt CarSharing für eine häufigere Nutzung von ÖPNV oder Fahrrad. Dadurch werden insgesamt weniger Kilometer mit Autos zurückgelegt, was den „fließenden Verkehr“ entlastet.
Es gibt immer mehr E-Autos. Das ist doch auch nachhaltig, oder nicht?
Ja und nein. E-Autos sind nachhaltiger als Verbrenner, wenn sie mit Ökostrom fahren. Der Fokus der Verkehrswende liegt aber auf einer grundlegenden Veränderung unserer Mobilität, nicht nur auf dem Austausch von Verbrennern durch E-Autos. Wir können die Verkehrswende nicht erreichen, indem wir alle 49 Millionen Pkw in Deutschland durch Elektrofahrzeuge ersetzen. Notwendig ist ein Mix aus mehr CarSharing, einem starken öffentlichen Nahverkehr und einer Förderung des Rad- und Fußverkehrs. CarSharing wirkt unabhängig vom konkreten Antrieb im Auto – sei es mit Verbrennern oder Elektroautos – und hilft dabei, den Pkw-Bestand insgesamt zu reduzieren.
Wie wird die Wirkung von CarSharing gemessen?
Es gibt ein Standardverfahren, um zu messen, was ein CarSharing-Angebot für den Verkehr bringt. Dieses wurde vom Bundesverband CarSharing (bcs) gemeinsam mit Verkehrswissenschaftler*innen entwickelt. Darin ist die sogenannte Ersetzungsquote enthalten. Diese gibt an, wie viele private Pkw durch ein CarSharing-Fahrzeug ersetzt werden. Bei cambio liegt diese Quote aktuell bei eins zu elf. Das bedeutet, jedes unserer Fahrzeuge ersetzt durchschnittlich elf private Pkw. Unsere Kund*innen wurden dafür zu ihrem Mobilitätsverhalten und Pkw-Besitz befragt. Es ist das erste Mal, dass wir diese Berechnung nach einem standardisierten wissenschaftlichen Verfahren durchgeführt haben.
Warum ist es wichtig, dass die Ersetzungsquote standardisiert ermittelt wird?
Eine standardisierte Ermittlung sorgt für Vergleichbarkeit und Transparenz. Sie gibt uns eine klare Grundlage, um die Wirkung von CarSharing auf den Verkehr zu bewerten und weiter zu verbessern. Nur mit soliden, einheitlichen Daten können wir zeigen, welchen Beitrag CarSharing tatsächlich leistet – und dies auch gegenüber Städten, Politik und anderen Akteuren verdeutlichen.
Ist die Entlastung durch CarSharing in allen Städten gleich?
Der konkrete Effekt von CarSharing hängt von den Rahmenbedingungen in den jeweiligen Städten ab. Faktoren wie die Verfügbarkeit von öffentlichem Nahverkehr, die Bevölkerungsdichte oder die Parkplatzsituation spielen eine große Rolle. In Städten mit gutem ÖPNV und wenig Parkraum entscheiden sich mehr Menschen gegen ein eigenes Auto und nutzen CarSharing intensiver. Dadurch steigt die Ersetzungsquote.
Was kann zusätzlich getan werden, um den Verkehr nachhaltiger zu machen?
Neben CarSharing braucht es eine konsequente Förderung des öffentlichen Nahverkehrs und des Rad- und Fußverkehrs. Attraktive Alternativen zum eigenen Auto sind entscheidend. Gleichzeitig müssen Städte den Autoverkehr durch Maßnahmen wie weniger Parkflächen oder höhere Parkgebühren unattraktiver machen. Die Kombination all dieser Ansätze wird den Verkehr nachhaltig entlasten und die Lebensqualität in unseren Städten verbessern.
Ein wirkungsvoller Beitrag für die Mobilität der Zukunft
CarSharing spielt eine zentrale Rolle in der Verkehrswende. Es schafft Platz in unseren Städten und reduziert den privaten Pkw-Bestand spürbar. Am besten funktioniert CarSharing aber in Ergänzung zum ÖPNV und Radverkehr. Wir brauchen ein Zusammenspiel von Mobilitätslösungen, um den Wandel in unseren Städten erfolgreich zu gestalten.
Vielen Dank, Norbert, dass du dir die Zeit für das Gespräch genommen hast!
Interview: Matthias Gräser
Bild: cambio.
Veröffentlicht am: 11.12.2024